Der ideale Pressespiegel: Edward Hopper in der Fondation Beyeler, Riehen
Redet man mit einer Person, die versucht, mediale Aufmerksamkeit für eine kleinere Galerie, Kunsthalle oder einen Off-Space zu gewinnen, so wird meist gemurrt über die paar Kunst-Riesen, die die Schlagzeilen dominieren. Sind diese Grossen wirklich zu beneiden? Wie läuft der Medien-Zyklus einer Blockbuster-Ausstellung?
Eine Frage nach Henne und Ei: Wer kommt zuerst, der Kurator bzw. die Museumsdirektorin oder die Künstler:innen? Kurz bevor die grosse Edward-Hopper-Ausstellung in der Fondation Beyeler eröffnet, widmet Die Zeit einem Porträt von Sam Keller viel Platz. Die Journalistin mag ihr Sujet anscheinend recht gern. Auch wenn dieses ihre Bezeichnung der Beyeler-Künstler als tote, weisse Männer ablehnt, sogar «sexistisch und rassistisch» nennt. Die Geschichte findet einen romantischen Schluss: Dieser sinnliche und unmittelbare Zugang zur Kunst sei für ihn wie Meditieren, sagt Keller. Es komme zwar viel zu selten vor, aber er liebe es, wenn er einfach mal eine Stunde Zeit habe mit einem Bild, dann versinke er darin, bis die Farben flirren. «Das ist so intensiv wie ein Kuss.»
Es besteht kein Zweifel, dass die Ausstellung ein Blockbuster wird. Dementsprechend ist die Medienkonferenz ein wichtiger Anlass, um die wesentlichen Botschaften der Ausstellung dem Pressekorps zu übermitteln und damit auch reichlich audiovisuellen Inhalt zur Verfügung zu stellen, der bald auf vielen digitalen Plattformen wiedergegeben wird. Sowohl Mathias Balzer im Tagblatt als auch der Bericht der SDA, veröffentlicht im Blick und mehreren anderen Zeitschriften, erwähnen, wie es wiederum vom Beyeler-Direktor Sam Keller hervorgehoben worden war, dass Hoppers berühmtestes Bild, Nighthawks, 1942, in Riehen nicht zu sehen sei. Trotzdem, Hopper ist «eine Ikone der amerikanischen Malerei» (Tagblatt) und «viele Werke Hoppers [gehören] zu den grossen Ikonen der Moderne». Im Tages-Anzeiger nimmt Jean-Martin Büttner kein Blatt vor den Mund: «Seine Bilder sind leergeschaut, ausgedeutet, versymbolisiert….Und alles an seinen Bildern kommt einem kalendarisiert, postkartisiert, katalogisiert und verpostert vor.» Bis man «vor den Originalen steht» und die Aura der Kunstwerke auf den Journalisten einwirkt.
Wie beschreibt man also solche Kunst, die schon so bekannt ist? «Und doch ist alles ungewöhnlich, seltsam eingefroren, unheimlich aufgeladen oder melancholisch verstimmt», schreibt Balzer im Tagblatt; es herrscht «eine endlose Stille vor dem Sturm, ein Moment einer Geschichte, die sich im Kopf der Betrachter fast von selber weiterspinnt». Filmische Referenzen gibt es wie Sand am Meer, da Hopper für Hitchcock ein wichtiger Einfluss gewesen ist und die Fondation Beyeler Two or Three Things Know about Edward Hopper, einen neuen 3D-Kurzfilm von Wim Wenders, parallel zur Ausstellung zeigt.
«Hopper entmutigte und verhöhnte seine Frau als Künstlerin.»
Jean-Martin Büttner, TagesAnzeiger
Es geht hier um Landschaftsmalerei und nicht um Stadtszenen, jedoch Landschaften, die von Menschen geprägt sind. «Motive wie Züge und Autos stehen exemplarisch für die zivilisatorische Erschliessung des ausgedehnten Landes» schreibt Katharina Rüppell für Artinside. In einer Anmerkung der Redaktion heisst es, dass Rüppell auch als kuratorische Assistentin an der Ausstellung mitgewirkt hat. Die Autor:innen, die auch kuratieren – Rüppell oder David Anfam von The Art Newspaper – gehören zu jenen Schreibenden, die den Mut haben, von der gegebenen Erzählung abzuweichen, oder die ihr vielleicht entkommen sind. Interessant ist auch, wie dieselben Gegebenheiten unterschiedlich interpretiert werden: Die Agentur SDA erwähnt Josephine Hopper, «die ihre eigene Karriere als Künstlerin derjenigen ihres Mannes opferte und ihn zeitlebens unterstützte». Im Tages-Anzeiger geht Jean-Martin Büttner viel weiter: «Hopper entmutigte und verhöhnte seine Frau als Künstlerin. Er benutzte sie als Sexobjekt und reduzierte sie zu seiner Sekretärin, die ihm stets zu Diensten stehen musste. Auch seine Blockaden und Depressionen liess er an ihr aus.»
Unter den Schweizer Stimmen ist Gerhard Mack in der NZZ am Sonntag vielleicht am erfolgreichsten, wenn es darum geht, eine neue Perspektive auf die gewohnte Malerei zu schaffen. Er sieht Hopper als «all american painter […] weil er bis heute die Wunde des Landes als Teil seiner Identität sichtbar macht und sie zugleich wieder schützend verbirgt.» Für Mack zählt Hopper zur Moderne wie Beckett oder Camus. Hopper erfasse «die Binnenstimmung der amerikanischen Gesellschaft, er malt und zeichnet den innersten Lavasee ihrer Not und weiss ihn meisterlich durch Licht, Komposition und Farbgebung zu verschliessen.» Und dies gilt immer noch: «Hopper zu verstehen, hilft, das Malaise genauer zu sehen, das in der Frustration vieler Trump-Wähler steckt: Sie erfahren nicht nur eine ökonomische, sondern eine existenzielle Verlorenheit, für die der Clown im Weissen Haus ein paar Stunden Ablenkung verspricht.»
Die Ausstellung ist so bedeutend, dass deutsche und britische Publikationen ihre Kritiker:nnen und Korrespondent:innen nach Riehen schicken, sogar der Hopper-Experte David Anfam reiste für The Art Newspaper an. Er bringt eine frische und eigene Perspektive, geniesst die Ausstellung in ihrer Kulisse, bemerkt die Choreografie und den Garten durchs Fenster. Und auch die anderen Besucher:innen: «The predictable crowds are another matter. Still, even they accentuate Hopper’s hallmarks: silence and vacancy.» Anfam schätzt die Ausstellung, hat aber einen Wunsch: Hopper im Vergleich mit Caspar David Friedrich zu sehen. «Casting a caustic eye on modernity and a watchful one upon nature, Hopper ranks among the most haunting of the last Romantics.» Für Apollo hat Nicholas Hatfull, wie Anfam, die Werke ausführlich und ohne Hast betrachtet. Damit wird er der Ausstellung gerecht: Der Kern der Schau, Cape Ann Granite, 1928, ist genau unter die Lupe genommen und dessen Stellung im Hoppers Œuvre begründet. «Cape Ann Granite looks severe, not immediately ingratiating, but it snags you with its ground-away molar forms.» Man lernt, dass Gestein von Cape Ann die frühen Amerikanische Städte formte, damit sind Kunst- und Stadtlandschaften verbunden. Aber Beton und Teer überholten den Granit und die Steinbrüche wurden stillgelegt. «Hacked, then abandoned; this goes some way to accounting for the peculiar intensity of the granite – which in its mute presence has a Mary Celeste quality.»
Hatfull übersäht seinen Text mit zahlreichen Zitaten und Querverweisen ‒ von Peter Doig über Brian O’Doherty bis zu Anfam. Insgesamt malt er ein pompöses Bild der Ausstellung. Zu Gas, 1940, schreibt er: «The Mobilgas red Pegasus logo keens towards the light of the main signpost, and repeats and recedes in the pucklike signs topping three pumps on the forecourt island. Pathos is gleaned by isolating the sprightly images of the Pegasus, and occluding them with knife-scrapings of buttery, reflected light.» Für einmal wird Wim Wenders nicht nur erwähnt, seinen Beitrag kann Hatfull auch begründen. Das Risiko war hoch, dass Wenders’ Versuch, die Malereien zu animieren, scheitern würde, aber der Filmemacher hat es geschafft : «The fleeting look the pump attendant from Gas steals over his shoulder at Wenders’ imagined customer is ineffably true to the paintings, even while their stasis ruptures – no mean feat.»
Ja, es war in der Tat eine Blockbuster-Ausstellung. So gross, dass die Viertelmillion Besucher, die von der Fondation Beyeler vermeldet wurde, selber als Nachricht erscheint ‒ etwa in der Badischen Zeitung. Insgesamt wurde die Ausstellung mehr als 1000 Mal in der Presse erwähnt. Diesen Umstand wie auch die Publikumszahlen dürften andere Kunsthäuser neidisch beobachtet haben.
Edward Hopper, Fondation Beyeler, 26.01.–20.09.2020