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Valentina Bischof, 16.12.2023

Eine dahineilende Verwandlungsgeschichte: David Weiss in der Galerie Weiss Falk, Basel/Zürich

David Weiss, Untitled (Wandlungen), 1978, Tusche und Wasserfarbe auf Papier, 10 Blätter, je 29,7 x 21 cm. Foto: Gina Folly

David Weiss fabuliert in seinen Zeichnungen über eine rastlose Welt der Wandlungen. Die Galerie Weiss Falk hat dem Frühwerk des Schweizer Künstlers gleich zwei Ausstellungen gewidmet. Bis Ende Januar kann an den Standorten Zürich und Basel eine kleine, sorgfältig kuratierte Auswahl der Bildserien besichtigt werden, die zwischen 1975 und 1978 entstanden sind.

Den Anfang macht das Gekritzel am linken oberen Bildrand. Dann führt das eine zum anderen: Striche werden zur Hand, die Hand wird zum Bein, das Bein zum Elefanten, dieser wird zur Blume, zur Landschaft und irgendwann zum Ufo. Auf den insgesamt über vierhundert losen Briefpapierbögen zieht sich dieses Prinzip visueller Assoziationen durch. Jede A4-Seite enthält mehrere Zeichnungen in blauer oder schwarzer Tinte, die sich in berauschender Weise gegenseitig erzeugen – mal augenzwinkernd, dann erotisch, immer unerwartet. In bildhaften Kürzeln wird von oben nach unten erzählt, die einzelnen Zeichnungen können jedoch auch quergelesen werden. Die Bilder werden auf diese Weise suggestiv zu einer Einheit verbunden. In einem geradezu filmischen Setting biegt sich die wachsende Nase von Micky Mouse zu einem erigierten Glied, das sich in einem Zweikampf selbst erwürgt, bis es schliesslich als langer Weg in die Ferne mündet. Ein klingender Wecker wird zur sinnlich wippenden Frauenbrust. Und, wenn das All auseinanderfliegt, ist auch auf Erden nichts mehr sicher!

In unerschöpflichem Repertoire und mit Comic-Duktus erfindet sich die Linie auf dem Papier in vielerlei Formen und Gestalten neu. Mit enthalten sind auch popkulturell aufgeladene Motive sowie Anleihen aus dem Buch I Ging, wie einem Brief von David Weiss an den Galeristen und Verleger Pablo Stähli 1976 zu entnehmen ist. Wer Ovids Metamorphosen gelesen hat, entdeckt zudem gewisse Parallelen, nicht nur was den Werktitel Wandlungen betrifft. Die lebendige Anschaulichkeit, mit welcher die Verwandlung von mythologischen Figuren und Menschen in Tiere und Pflanzen im epischen Grossgedicht Ovids erzählt werden, findet eine Entsprechung in den Zeichnungen. Kurz: Das scheinbar Banale und das angeblich Komplexe fügen sich im Frühwerk von David Weiss (*1946–†2012) wie selbstverständlich zusammen. Auch in seiner langjährigen künstlerischen Zusammenarbeit mit Peter Fischli ab 1979, erweist sich dieses Prinzip als fruchtbar. Die beiden haben in der Zürcher Punkszene der späten siebziger Jahre zusammengefunden und bald zählten Fischli/Weiss zu den weltweiten Kunstgrössen. Sein zeichnerisches Werk hat David Weiss im Künstlerduo nicht weiter fortgesetzt. Erst in den letzten Monaten vor seinem frühen Tod hat er sich seinen Zeichnungen wieder vermehrt gewidmet und die Herausgabe verschiedener Künstlerbücher initiiert. Postum fand 2014 im Kunstmuseum Chur sowie im selben Jahr im Swiss Institute in New York je eine Einzelausstellung statt. Weitere folgten. Diese machten deutlich: Die Zeichnungen von David Weiss gilt es als eigenständige Werkgruppe zu gewichten.

Wie sein Vater, so ist auch Oskar Weiss Teil der Kunstszene – allerdings weniger als Künstler, denn als Kunstkenner und Kurator. Gemeinsam mit Oliver Falk gründete er 2016 die progressive Galerie Weiss Falk, die seit 2022 in den Städten Basel und Zürich vertreten ist. Die aktuelle Ausstellung Wandlungen bietet einen Einblick in den Nachlass und in die Ideenwelt von David Weiss. Fast so, als könnte dem Künstler beim Sinnieren über die Schulter geschaut werden: Die von ihm gezeichneten Linien treiben die Gedanken voran und werden umgekehrt zum lustvollen Spiel mit sprunghaften Möglichkeiten. Rastlos verliert sich der freie Lauf der Fantasie manchmal in einer gewissen Ratlosigkeit. David Weiss konterkariert das Dilemma jedoch mit gekonnt humorvoller Geste: Der Untergang scheint unausweichlich und wird gefeiert. Mit jedem Beginn am linken oberen Bildrand wird in wandelnder Kontinuität die Gegenwart neu verhandelt. Die Betrachtung der Zeichnungen wird zur Denkübung mit vielen Anfängen und ohne Ende.


David Weiss, Wandlungen, Galerie Weiss Falk, Basel/Zürich, bis 27.1.2024