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Samuel Herzog, 10.03.2022

«Nur weil es schwimmen kann»

Freitag, 18. März 2022 – Phuket (Thailand) Karon Beach

«This is a highly interesting work of art, isn’t it?»
«Was? Das? Dieses Ding hier?»
«In der Tat! Dieses ‹Ding›.»
«Ist das nicht eher eine Boje, ein Floss, ein Werbegag?»
«Oh nein, mein Herr. Sie lassen sich aber leicht in die Irre führen, lassen Sie nicht?»
Das gestelzte Schulbuchenglisch will gar nicht zu dem kleinen Mann mit dem Ballonbauch und dem schmuddligen T-Shirt passen, der sich da neben mich in den Schatten einer Kasuarine gestellt hat und offenbar mit mir über eine seltsame Styroporinsel auf dem Strand reden möchte, eine Art Schwimmkörper, aus dem an Stängeln künstliche Muscheln in die Luft ragen, eigentümlichen Ozeanblumen gleich. Seine Rechte umklammert ein Sandwich, das nach Frittieröl duftet und in einem fort durch ein Faltwerk aus Aluminiumfolie hindurch auf seine Füße tropft. Mit der Linken, in der er eine noch ungeöffnete Coladose hält, schreibt er jetzt eine Reihe von Serpentinen in den Himmel über uns.
«All dies, mein Herr, alles, was Sie hier sehen, ganz Karon Beach, war einst ein Fischerdorf namens Byron. In der Tat.»
«Byron? Byron wie der Poet?»
«Er ist ein Poet, mein Herr, nicht wahr?»
«Ich weiß nicht, Sie meinen …«
«Als hier die ersten großen Hotelunternehmen anrückten, wollte einer der Fischer seine Hütte auf dem Strand nicht verkaufen. Er hat sich einfach geweigert. Die wollten hier eine riesige Anlage bauen, direkt am Wasser. Alle anderen Fischer haben ihre Häuschen verkauft. Die meisten sind ihr Geld schnell wieder los geworden, waren den Umgang mit solchen Summen nicht gewohnt, haben gierige Verwandte durchgefüttert, in wertlose Aktien investiert oder irgendwo im Norden einen Tempel gestiftet. Einige von ihnen arbeiten heute noch als Kellner in den Restaurants hier.»
«Woher wissen sie all das?»
«Ich bin Taxifahrer, mein Herr», sagt er und weist mit dem tropfenden Weissbrot auf einen kleinen Toyota, der hinter uns an Straßenrand steht.
«Einer, nur einer wollte seine Hütte nicht verkaufen. Stellen Sie sich das vor, mein Herr. Und da hatten die Hotelleute ein Problem, ein ziemlich grosses Problem. In der Tat. Verstehen Sie, was ich meine?»
«Ja, schon.»
«Natürlich haben die Herren Manager alles versucht. Sie haben dem Mann geschmeichelt, an seine Vernunft appelliert, ihm immer höhere Summen versprochen, ihm gedroht .… Sicher haben sie auch daran gedacht, ihn mit Gewalt aus dem Weg zu schaffen. Doch so etwas bringt Unglück in einem buddhistischen Land.»
«Karma, klar, kann ich mir denken. Und dann?»
«Nun, einige der Unternehmer sind wieder abgezogen, andere haben etwas weiter weg vom Strand ihre Hotels hochgezogen. Dank diesem einen Fischer, mein Herr, haben wir heute hier einen der schönsten Strände von Phuket, völlig unverbaut. Ein Juwel der Andamanensee. Davon erzählt dieses Kunstwerk. Ein prachtvolles Denkmal, ist es nicht?»
«Nun, prachtvoll, ich weiß nicht …»
«Sie haben recht, mein Herr, es braucht etwas frische Farbe.»
«War der Mann nicht Fischer? Ich sehe auf dem Monument nur Muscheln und ein paar Seeigel …»
«Künstler sind frei, sind sie nicht?»
«Und das Schild? ‹Amazing Thailand›? Der Schriftzug mittendrin: ‹The greatest escape of Andaman›? Ich meine, gehört das etwa auch zu dem Kunstwerk?»
«Auch Künstler müssen leben, mein Herr, müssen sie nicht?»
«Es tut mir leid. Aber ich erkenne da doch eher einen Werbegag … sieht sicher lustig aus, wenn das Inselchen von einem Motorboot dem Strand entlang durch den Brandungsschaum gezogen wird, wenn die Muscheln lustig wackeln. Aber Kunst, ich weiß nicht?»
«Ist etwas keine Kunst, mein Herr, nur weil es schwimmen kann?»
Mit Schwung bohrt er seine Zähne in das Sandwich, rote Sauce läuft ihm über die Finger, ein Tomatenschnitz flutscht heraus, klatscht in den Sand.
«Wissen Sie, was dann passiert ist?», fragt er kauend.
Ich zucke mit den Schultern.
«Nun, der Fischer ist einfach weggezogen. Denn das Land, auf dem seine Hütte stand, das gehörte ihm gar nicht, es gehörte gar niemandem.» Er schiebt sich den letzten Bissen seines Brotes in den Mund, kaut etwas hastig, schluckt.
«Der Mann hat sich ja auch nie als Besitzer ausgegeben! Er hat immer nur gesagt, dass er nicht verkaufen will. Es ist einfach niemand auf die Idee gekommen, die Eigentumsverhältnisse zu hinterfragen.»
«Ein schlaues Kerlchen.»
«Schlau?» Er zerknüllt die Alufolie mit einer Hand, klemmt sie sich unter den Arm, leckt sich die Finger und reibt sich die Spitzen trocken auf der Brust seines Shirts. Die Dose in seiner Linken ist immer noch ungeöffnet.
«Wir sind hier Buddhisten, mein Herr. Aber ich muss los.»
Mit dem Daumen zieht er eine dunkle Sonnenbrille von der Stirn vor die Augen, kramt dann einen Schlüssel aus der Hosentasche.
«Warten sie, was ist denn aus dem Fischer geworden?»
«Der? Der arbeitet heute als Taxifahrer, mein Herr. A highly interesting work, isn’t it?»