Obszöne Blicke: Alexandra Bachzetsis im Kunsthaus Zürich

In ihrem neuen Stück, das derzeit in Zürich als Videoinstallation zu sehen ist, verhandelt die Zürcher Künstlerin Alexandra Bachzetsis den Zusammenhang von Inszenierung und Obszönität. Die gekonnte museale Setzung macht dabei deutlich, dass diese zwei Begriffe sich gegenseitig bedingen und unseren Alltag in unterschiedlicher Ausprägung infiltrieren.
Darf man das heute noch, eine Frau so zeigen? Darf man sie dabei betrachten? Diese Fragen drängen sich auf, während in der zentralen Projektion eine Protagonistin in High Heels und String Bodysuit ihren Po vor und zurück wippt. Natürlich konnte sich die Kunst diesbezüglich schon immer etwas mehr erlauben. Die komplexen sozialen Übereinkünfte, wer was, wann, wo zeigen und betrachten darf und wo das Tabu beginnt, bilden den wummernden Grundton zur neuen Installation von Alexandra Bachzetsis (*1974). Die Zürcher Performerin und Choreografin ist bekannt für ihre Stücke, in denen sie Körper und Gesten auf ihre Formbarkeit und Deformation durch Medien, Popkultur und Kunst untersucht. Mit 2020: Obscene, ihrem «Lockdown-Werk», stellt sie den Zusammenhang von Szene, also dem Inszenierten, und Obszönität in den Vordergrund – ein Begriffspaar, das in dem englischen Ausdruck «Obscene» eine sinnige Verschmelzung findet.

Die Choreografie für vier Performer:innen ist im Kabinett des Kunsthauses Zürich in eine raffinierte, museale Setzung überführt worden. Bahnen von Tanzteppichen in den Grundfarben rot, gelb, blau stecken im Raum unterschiedliche Bereiche ab und gehen in je eine Projektionsfläche an der frontalen und den zwei seitlichen Wänden über. Als Zuschauer:in ist man somit von Beginn an Teil der Szenerie, wird selbst zur Figur in dem Bilder-Triangel, wenn man sich auf das Treppenpodest in der Raummitte setzt und sich dabei plötzlich von der Person beobachtet fühlt, die auf der Sitzbank an der Rückwand Platz genommen hat. Man wird betrachtet wie man diese teils provokanten Bilder betrachtet: Mann und Frau in einem mehrdeutigen «Paartanz», Mann und Mann aneinandergeschmiegt, oder ein turnender Performer mit weissem Badetuch um die Hüften, aus dem das Imitat eines erigierten Penis ragt. Derart pendeln die Szenen ein mediales Spektrum zwischen «Porno» und «Dirty Dancing» aus. Dazwischen schalten sich Bilder der Künstlerin vor einem Stativ mit Kamera, Posen übend, als Diva, als Cowboy. Sämtliche Performende wirken dabei, wie üblich bei Bachzetsis, als wären sie der Bildstrecke eines Modemagazins entsprungen, oder einer Werbung. Es sind durchweg schöne Menschen, welche die Künstlerin zeigt, schöne Körper, die man gerne anschaut. Darf man das so sagen? Was ist der Anteil des Blicks an der Obszönität? Oder an der Schönheit?

Im Fadenkreuz der Bilder und Szenen, die im Wechsel, teils gedoppelt und leicht variiert oder zeitlich versetzt, auf den drei unterschiedlichen Projektionsflächen erscheinen, entwickeln die Rollenspiele dieser schönen Menschen einen Sog aus Anziehung und Irritation. Durch einfache formale Kniffe werden die Bildillusionen zudem einerseits gebrochen, andererseits an den Realraum gekoppelt: Das Video rechterhand wird auf ein matratzenähnliches Objekt projiziert, linkerhand hängt eine Ecke des Tanzteppichs lose ins Bild. Das Treppenpodest, auf dem man sitzt, taucht als Requisite für die Performenden in den Filmen auf und bildet eine weitere Brücke zwischen Schau- und Bildraum. Das alles lässt die «Spielenden» sonderbar nah erscheinen und macht unmissverständlich klar: Die Grenze zwischen dem Inszenierten und dem Lebensweltlichen ist durchlässig.
Und dann ist da noch der Ton: Zwischen poppigen Discosongs, die im Text Beziehungsfragen verhandeln, werden in stillen Sequenzen geräuschvolle Gesten oder das Atmen der Performer:innen hörbar, auch mal ein verlegenes Lachen. Die selbstbewussten Posen, die provokanten Inszenierungen gewinnen an Menschlichkeit zurück, plötzlich liegen Verletzlichkeit und Intimität in der Luft. Bevor das Ganze dann in einem formal nostalgisch inszenierten letzten Akt mündet, der Sadomasochismus, Sexorgien und eine Vergewaltigungsszene – wohlgemerkt mit unüblicher Rollenverteilung – evoziert. Nach rund 45 Minuten verlässt man den Kabinettraum mit Nachbildern. Ja, die Kunst darf mehr als andere, kann aber auch mehr: das Obszöne inszenieren und gleichzeitig sezieren zum Beispiel und es aus den Sehgewohnheiten unseres Alltags herausschälen.
Alexandra Bachzetsis: 2020: Obscene, Kunsthaus Zürich, 25.03.–01.05.2022