Borrowed Eyes, Half-lives and Tides: Alexandra Navratil in Der Tank, Basel

Die Mittel, künstlerische Prozesse sichtbar zu machen, haben sich vervielfältigt. Ausstellungen sind eine Möglichkeit, diese öffentlich zu machen und ein kollektives Momentum zu erzeugen. Die aktuelle Installation von Alexandra Navratil in Der Tank, einem rundum verglasten Kubus auf dem Campus der FHNW, zeigt, wie produktiv dies für alle sein kann.
Beständig setzt sich Navratil damit auseinander, wie Menschen in Natur und Lebensräume verschiedenster Spezies eingreifen. Sie verfolgt dieses Thema, indem sie spezifische Materialien wie Gelatine, ein Stoffgemisch aus tierischen Proteinen, zum Zentrum ihrer Recherchen macht. Dabei sucht sie je nach Schwerpunkt den Kontakt zu Expert:innen aus verschiedenen Disziplinen. Je intensiver sich der Austausch entwickelt und je präziser die Recherchen an Widersprüche und offene Fragen heranführen, desto deutlicher wird, wo Bezüge zur Gegenwart bestehen: Sie beobachtet Ursachen von Langzeitfolgen in systemischen Strukturen und greift Nahtstellen zu aktuellen Debatten auf. Es ist ein Prozess. Währenddessen reflektiert, diskutiert und entscheidet sie, ob und wie die erforschte Materie zum zentralen Aspekt einer künstlerischen Arbeit wird. Schwerpunkt ihrer jüngsten Recherche sind Harze, vor allem natürliche Harze wie Bernstein. Harze sind eine Substanz mit vielfältigen Anwendungsformen in Medizin, Industrie und Kunst aus der Gruppe fester, amorpher, nichtflüchtiger, lipophiler Pfanzenprodukte. Analog zu anderen natürlichen Stoffen werden sie gewonnen, indem Menschen in ökologische Zusammenhänge eindringen, konkret mit Werkzeugen in die schützende Oberfläche von Bäumen ritzen. Die Spuren dieser irreversiblen Verletzungen sind in den Baumringen gespeichert. Für Bernstein sind Einschlüsse von Insekten und Pflanzen aus vor- und frühgeschichtlicher Zeit typisch. Das Senckenberg Museum in Frankfurt am Main verfügt über eine der bedeutendsten Sammlungen. Mit seinen in Schubladen gelagerten, sorgfältig beschrifteten Beständen, ausgestopften Tieren mit Glasaugen, ist es einer der Orte, der in einer in Basel gezeigten Videoarbeit vorkommt. Der Screen ist dicht vor der hinteren Glaswand an einem türkis lackierten Metallrohr befestigt, das zwischen Boden und Decke eingespannt ist. Es scheint diese zu tragen. Von zwei Lautsprechern begleitet, ist der Screen auf Augenhöhe arretiert. Dieses Niveau entspricht der Art und Weise, wie Menschen willkommen geheissen und vorwurfsfrei angeregt werden, sich mit den Halbwertszeiten von Wissen und Leben auseinanderzusetzen. Und wie sie gefragt werden, welche Wechselwirkungen ihnen bereits bewusst waren, und welche Konsequenzen sie zu ziehen bereit sind. Diese Form der Ansprache erfolgt sinnlich präzis und empathisch und setzt sich in weiteren künstlerischen Arbeiten wie von Bäumen abgenommenen Latexhäuten und zwei grafischen Werke fort. Navratil, die am Institut Art, Gender, Nature lehrt, lässt dabei erahnen, wie genau sie über historische Praktiken und zeitgenössische Diskurse zu Kunst und Natur, Schmerz, Heilung und Care informiert ist. An einem Pfosten rechts des Eingangs ist ein linsenförmiges Objekt montiert, das zugleich als Lichtquelle dient. Erkenntnisse, insbesondere schmerzliche Erkenntnisse, benötigen die Dämmerung, und eine Membram, die äussere Einflüsse filtert. Im Tank ist sie gelb. Auf Instagram lassen sich Momente aus den Herstellungsprozessen skizzenhaft zurückverfolgen. Auf diesem Channel finden sich auch Fotos, die frühere Varianten der Latexhäute zeigen und einen Eindruck vermitteln, für welche Displaylösung sich Navratil 2022 anlässlich einer Ausstellung im Projektraum A Tale a Tub in Amsterdam entschieden hat. Für zwei mit Esther Alemayehu Hatle eingegebene Vorschläge für Kunst- und Bau-Projekte (Schweizer Botschaft in Addis Abeba, Campus der School of Engineering der ZHAW) hat sie Zusagen für die Realisierung erhalten. Damit sind zwei Kontexte definiert, in denen Navratil in unterschiedlicher Zusammensetzung kollaborativ weiterarbeitet. Deren Zeitlichkeit ist eine andere. Über das Momentum in Basel sind sie miteinander verbunden.
Water in Water, Der Tank, Institut Kunst Gender Natur, Fachhochschule Nordwestschweiz, Basel, bis 30.3.